Die rechtlichen Grenzen der Meinungsfreiheit

Januar 13, 2018/0/0

Die rechtlichen Grenzen der Meinungsfreiheit

Hate Speech und Fake News im Lichte der Grundrechte und des Strafrechts

In den Diskussionen im Netz wird uns Gruppenmitgliedern von #ichbinhier immer wieder entgegengehalten, wir seien eine „Gesinnungspolizei“ und wollten die Meinungsfreiheit beschneiden. Vielen scheinen sich schon durch den Umstand, dass wir als Gruppe Counter Speech betreiben und für einen respektvollen Ton in der Auseinandersetzung eintreten, in ihrer freien Rede eingeschränkt zu sehen.

 

 

Seit mit Jahreswechsel das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) greift, rumort es ganz besonders laut. Nun heißt es wieder: „Politisch Andersdenkende sollen mundtot gemacht werden.“, „Maas vergisst, dass in unserem Grundgesetz die Meinungsfreiheit verankert ist!“ – aber ist da was dran? Sind auch aggressive und zum Hass gegen Andere aufstachelnde Kommentare durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit geschützt? Wie weit geht die Meinungsfreiheit eigentlich?

Im folgenden Text erläutere ich das Grundrecht der Meinungsfreiheit allgemein (I.) und sein Verhältnis zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht (II.). Weiter beleuchte ich die Grenzen der Meinungsfreiheit, die das Strafrecht aufzeigt (III.). Schließlich komme ich zu der Frage, was ihr tun könnt, wenn ihr auf Kommentare stoßt, die in euren Augen klar jenseits der Grenzen der freien Rede stehen, und in diesem Zusammenhang auch zum NetzDG (IV.).

I. Allgemeines

Das Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG) sichert, dass jeder frei sagen kann, was er denkt, auch wenn er keine nachprüfbaren Gründe für sein Urteil angibt bzw. angeben kann.

Der Begriff der Meinung ist grundsätzlich weit zu verstehen. Er umfasst nicht nur, welche Haltung jemand zu bestimmten Fragen hat, wie er Sachverhalte bewertet und welche Schlüsse er daraus zieht. Er schließt auch Tatsachenmitteilungen ein, weil und soweit sie Voraussetzung der Bildung von Meinungen sind. Keine Rolle spielt, welche Themen berührt werden und ob die Äußerung als wertlos oder abwegig eingestuft wird, ob sie rational oder emotional begründet ist.

Das Grundrecht der Meinungsfreiheit schützt das Äußern und Verbreiten der Meinung. Geschützt sind der Inhalt , aber auch die Art und Weise der Äußerung . Das bedeutet, dass z. B. auch polemische Äußerungen geschützt sind. Auch wer poltert, pöbelt oder überspitzt, kann die Meinungsfreiheit auf seiner Seite haben.

Das bedeutet aber nicht, dass man alles in jeder erdenklichen Weise sagen darf: Die Meinungsfreiheit hat ihre Grenze in den allgemeinen Gesetzen und in dem Recht der persönlichen Ehre. Als „allgemeine Gesetze”, die die Meinungsfreiheit einschränken, haben insbesondere einige Vorschriften aus dem Strafgesetzbuch (StGB) Bedeutung. Zu denken ist hier vor allem an die Straftatbestände der Beleidigung, üblen Nachrede und Bedrohung sowie der Volksverhetzung, die die rote Linie markieren, die nicht überschritten werden darf. Das Recht der persönlichen Ehre hat als Aspekt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs.1 GG seinerseits Verfassungsrang.

Die Einschränkung der Meinungsfreiheit durch allgemeine Gesetze und die persönliche Ehre ist aber wiederum nicht beliebig und unbegrenzt. So besteht ein Spannungsverhältnis zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und der Ehre auf der einen Seite und der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite und letztlich sind die unterschiedlichen Interessen und Umstände in jedem Einzelfall gegeneinander abzuwägen – häufig eine Gratwanderung .

II. Meinungsfreiheit vs. Persönlichkeitsrecht

Für die Frage, ob jemand die Äußerung anderer über seine Person hinnehmen muss, kommt es darauf an, ob es sich bei dieser Äußerung um eine Tatsachenbehauptung oder ein Werturteil handelt. Der Begriff der Tatsache setzt voraus, dass etwas ist oder war, was bewiesen werden könnte. Durch ein Werturteil wird dem gegenüber die subjektive Einstellung zu einer Person oder zu deren Verhalten zum Ausdruck gebracht.

1. Bei Tatsachenbehauptungen ist zu differenzieren:

a) Dass zutreffende Tatsachen über ihn mitgeteilt werden, muss der Betroffene in der Regel hinnehmen. Eine Einschränkung erfährt dies aber wiederum im Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Dies ist das Recht des Einzelnen, grundsätzlich selbst darüber zu bestimmen, ob und innerhalb welcher Grenzen er persönliche Lebenssachverhalte offenbart. Dieses Recht gewährt Schutz nicht nur gegenüber dem Staat, sondern auch vor Indiskretionen durch andere Personen.

Was im Einzelfall vorrangig ist, die Meinungs- und Informationsfreiheit oder aber das allgemeine Persönlichkeitsrecht, hängt von verschiedenen Kriterien ab (dem Interesse der Öffentlichkeit, dem Umgang des Betroffenen selbst mit seinen persönlichen Daten, dem Kontext).

b) Nicht zu dulden sind hingegen unwahre Tatsachenbehauptungen. Allerdings sind die Anforderungen an die Wahrheitspflicht nicht zu überspannen, weil dadurch die Funktion der Meinungsfreiheit in Gefahr geriete. Jedenfalls nicht geschützt ist die bewusste oder grob fahrlässige Behauptung unwahrer Tatsachen. Das heißt: Auch wer davon ausgeht, dass das, was er behauptet, zutrifft, kann sich nicht auf die Meinungsfreiheit berufen, wenn es sich aufdrängt, dass dies nicht der Fall ist. Sind Behauptungen ins Blaue hinein in Bezug auf eine andere Person ehrenrührig und außerdem „nicht erweislich wahr”, sind sie außerdem als üble Nachrede strafbar – siehe unten.

2. Werturteile sind vom Recht zur freien Meinungsäußerung gedeckt, soweit sie nicht vorrangig darauf gerichtet sind, die Persönlichkeit herabzusetzen und zu diffamieren. Eine sachliche Kritik ist nicht widerrechtlich, mag sie auch scharf, überspitzt oder gar ausfällig vorgetragen sein. Unzulässig sind aber Werturteile, die in eine jeder sachlichen Grundlage entbehrende und böswillige oder gehässige sogenannte „ Schmähkritik” übergehen. Die Zulässigkeitsgrenze wird überschritten, wenn bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung mit der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Der Übergang von Tatsachenbehauptungen zu Wer tur teilen ist fließend, die Einordnung of t schwierig. Auch Wertur teile haben häufig eine Tatsachenbasis. Von einem tatsachenbasierten Werturteil kann aber nicht mehr die Rede sein, wenn die Wertung einen Zusammenhang mit konkreten Ereignissen nicht erkennen lässt, sondern sich mit vagen Andeutungen auf hoher Abstraktionsebene begnügt .

Anmerkung:

Ist im Ergebnis eine Äußerung über eine Person von dieser nicht mehr hinnehmbar, so ist sie rechtswidrig . Sie ist damit aber nicht zwingend auch strafrechtlich relevant. Die dargestellten Grundsätze sind aber allgemeingültig, egal, ob ein Strafgericht prüft, ob eine Äußerung z. B. als Beleidigung strafbar ist, oder aber ein Zivilgericht zu entscheiden hat, ob eine betroffene Person wegen der Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts die Löschung und künftige Unterlassung derartiger Beiträge verlangen kann.

Das NetzDG allerdings spricht zwar von „rechtswidrigen Inhalten” und soll dazu beitragen, dass rechtswidrige Inhalte in sozialen Netzwerken nicht öffentlich zugänglich gemacht und verbreitet werden. Gemeint sind nach § 1 Abs. 3 NetzDG aber allein strafbare Inhalte, und zwar nur solche, die bestimmte, abschließend aufgezählte Tatbestände des Strafgesetzbuches erfüllen. Dies führt zu Folgendem:

III. Strafrechtliche Einordnung von Hate Speech und Fake News

Wann sind Hass, Hetze und bewusst falsche Behauptungen strafbar ? Vor der strafrechtlichen Bewertung einer Äußerung ist zunächst sehr sorgfältig ihr objektiver Aussagegehalt zu ermitteln. Maßgeblich ist hierbei der Sinn, den die Äußerung nach dem Verständnis eines „unvoreingenommenen und verständigen Publikums“ objektiv hat. Auszugehen ist vom Wortlaut der Äußerung und dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, sowie ihren Begleitumständen. Kommen unterschiedliche Auslegungen in Betracht, von denen eine nicht straf würdig ist, dann muss ausgeschlossen werden, dass der Äußernde es nicht eben so gemeint hat, wie es (noch) hinzunehmen wäre. Schwierigkeiten können satirische Äußerungen bereiten, die sich der Übertreibung, Verfremdung oder Verzerrung bedienen, um eine – an sich sachliche – Kritik zu üben. So oder so ist herauszufinden: Was ist der Kern der Aussage? Im nächsten Schritt ist der ermittelte Aussagegehalt strafrechtlich zu bewerten. Nachfolgend aufgeführt sind die Straftatbestände mit der größten Relevanz:

1. – § 185 StGB, Beleidigunghttps://dejure.org/gesetze/StGB/185.html

Eine Beleidigung begeht, wer den Ruf, das Ehrgefühl, den allgemeinen Achtungsanspruch einer anderen Person durch die Kundgabe der Geringschätzung oder Missachtung verletzt. Sie kann durch ehrenrührige Tatsachenbehauptungen, Meinungsäußerungen oder Werturteile erfolgen, die dem Betroffenen selbst und/oder anderen Personen gegenüber bis hin zu einer breiten Öffentlichkeit kundgetan werden. Es kann der einzelne Mensch, aber auch eine abgrenzbare Gruppe von Menschen beleidigt werden. Die Strafbarkeit ist ausgeschlossen, wenn die Tat in Wahrnehmung berechtigter Interessen – vor allem des Rechtes auf freie Meinungsäußerung – erfolgt. Hier ist dann die einzelfallbezogene Gesamtabwägung zwischen der persönlichen Ehre auf der einen Seite und der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite vorzunehmen (siehe oben II.). Enthält die ehrverletzende Äußerung auch einen Angriff auf die Menschenwürde, weil sie gegen das Menschsein des Geschädigten als solches gerichtet ist und ihn als minderwertiges Wesen behandelt, dem das Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit abgesprochen wird, dann tritt die Meinungsfreiheit stets zurück. Juristen sprechen von „Schmähkritik”, die grundsätzlich nicht erlaubt ist. Die Meinungsfreiheit leidet nicht darunter, wenn pure Beschimpfungen, marktschreierische Herabsetzungen oder polemischen Ausfälle, die jedes Maß an Sachlichkeit vermissen lassen – also Äußerungen, durch die in erster Linie der Betroffene als Person entwertet werden soll – als strafbare Beleidigung angesehen werden. Das ist typischerweise der Fall bei Schimpfwörtern, die von vornherein nicht anders als als Beleidigung zu verstehen sind. Andere Fälle sind weniger eindeutig und verlangen eine gründliche Abwägung .

Beispiele: „Gabriel, die fette Ratte!“, „linksgrünversiffte Idioten“.

2. – § 186 StGB, Üble Nachredehttps://dejure.org/gesetze/StGB/186.html

Eine üble Nachrede begeht, wer in Bezug auf einen anderen eine ehrenrührige Tatsache behauptet oder eine solche ehrenrührige Tatsachenbehauptung verbreitet, wenn die Tatsache „nicht erweislich wahr “ ist. Adressat der Äußerung ist nicht oder nicht nur der Betroffene. Von der Äußerung muss also auch ein Dritter Kenntnis erlangen. Eine Tatsache behauptet , wer vermittelt, dass er sie für wahr/gewiss hält. Verbreitet wird eine Tatsachenbehauptung auch dann, wenn sie als Gerücht bezeichnet wird. Der Täter muss subjektiv wissen oder damit rechnen, dass er etwas Ehrenrühriges äußert. Voraussetzung für die Strafbarkeit ist schließlich, dass der Beweis für die behauptete Tatsache nicht geführt ist. Dabei hat #ichbinhier der Äußernde die Richtigkeit der Tatsache zu beweisen. Die üble Nachrede kann im Einzelfall gerechtfertigt sein, z. B. weil der Täter auf die Auskunft der zuständigen Behörde vertraut oder berechtigte Interessen wahrgenommen hat.

3. – § 187 StGB, Verleumdunghttps://dejure.org/gesetze/StGB/187.html

Steht fest , dass die in Bezug auf einen anderen behauptete ehrenrührige Tatsache unwahr ist, und behauptet oder verbreitet der Täter sie dennoch wider besseres Wissen, dann liegt ein Fall der Verleumdung vor. Hier muss feststehen, also bewiesen sein, dass die behauptete Tatsache unwahr ist. Die Beweislast liegt im Zivilverfahren bei dem Geschädigten; im Strafverfahren sind Staatsanwaltschaft und Gericht gefordert. Wider besseres Wissen handelt der Täter, wenn er sichere Kenntnis von der Unwahrheit der von ihm behaupteten oder verbreiteten Tatsache hat. Es genügt nicht, dass er die Unwahrheit vermutet oder mit ihr als einer Möglichkeit rechnet. Eine Verleumdung kann durch Wahrnehmung berechtigter Interessen nicht gerechtfertigt werden. Wird die Tat öffentlich (also z. B. in den sozialen Medien) begangen, wird sie härter bestraft.

Beispiele zu 2. und 3.:

Die Behauptung, der junge Syrer, der mit Angela Merkel auf einem Selfie posiert, sei ein IS-Terrorist. Oder die Behauptung, ein anderer Nutzer beschäftige Geflohene in seinem Betrieb und erhalte hierfür staatliche Zuschüsse. – Ist dies nachweislich unwahr und ist dem Täter das auch bekannt, handelt es sich um Verleumdung. Solange kein entsprechender Beweis erbracht ist, liegt bei ehrenrührigen Behauptungen „ins Blaue hinein“ jedenfalls ein Fall der üblen Nachrede vor.

4. – § 130 StGB, Volksverhetzunghttps://dejure.org/gesetze/StGB/130.html

Anders als die soeben dargestellten Beleidigungstatbestände, die dem Schutz der Ehre des Einzelne dienen, schützt § 130 StGB Gruppen von Menschen und den sozialen Frieden in Deutschland. In § 130 StGB finden sich, grob unterteilt, zwei Delikte:

a) Absätze 1 und 2: Hassbotschaften

Tathandlungen sind die friedensgefährdende Hetze (Abs. 1) bzw. die Verbreitung von Hetzschriften (Abs. 2) durch das Aufstacheln zum Hass, die Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen oder Angriffe auf die Menschenwürde durch Beschimpfen, böswilliges Verächtlichmachen oder Verleumden. Dabei muss es sich um verbale Angriffe gegen Gruppen bzw. Bevölkerungsteile handeln, die sich durch bestimmte Merkmale klar von der übrigen Bevölkerung abgrenzen lassen (z. B. Asylbewerber, Nordafrikaner, Politiker einer bestimmten Partei, Homosexuelle, Muslime, Richter u. a.). Geschützt sind auch Einzelpersonen, die diesen Bevölkerungsteilen bzw. Gruppen angehören, sofern die Tat sich speziell auf deren Zugehörigkeit zu dem Teil der Bevölkerung bzw. zu der Gruppe bezieht.

– Das Aufstacheln zum Hass ist eine verstärkte, auf die Gefühle des Aufgestachelten gemünzte, über die bloße Ablehnung und Verachtung hinausgehende Form des Anreizens zu einer emotional gesteiger ten feindseligen Haltung.

– Die Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen setzt voraus, dass der Auffordernde will, dass der Empfänger seine Erklärung ernst nimmt. Gewalt- und Willkürmaßnahmen sind solche, die sich nicht an die Gebote und Grundsätze der Menschlichkeit und Gerechtigkeit halten.

– Ein Angriff auf die Menschenwürde anderer setzt voraus, dass die Tat gegen den Persönlichkeitskern des anderen, gegen dessen Menschsein als solches gerichtet ist, ihn als minderwer tiges Wesen behandelt und ihm das Lebensrecht als gleichwer tige Persönlichkeit abspricht.

– Unter Beschimpfen versteht man hier eine besonders verletzende Äußerung der Missachtung. Die Äußerung braucht weder unwahr noch eine Formalbeleidigung zu sein.

– Ein Verächtlichmachen lieg t vor, wenn etwas bzw. jemand durch Wer tur teil oder Tatsachenbehauptung als der Achtung der Staatsbürger unwer t oder unwürdig hingestellt wird. Böswillig handelt der Täter, wenn er trotz Kenntnis des Unrechts aus bewusst feindlicher Gesinnung handelt, oder wenn er har tnäckig Erkenntnisquellen, die seine Behauptungen widerlegen, oder Möglichkeiten zu weniger anstößigen Formulierungen ausschläg t.

– Verleumden ist das Aufstellen oder Verbreiten unwahrer Tatsachenbehauptungen, die das Ansehen des Bevölkerungsteiles herabsetzen, und zwar wider besseres Wissen des Täters.

Absatz 1 knüpft eine höhere Strafandrohung daran, dass die Tat geeignet ist , den öffentlichen Frieden zu stören. Hieraus wird gefolgert, dass sich die Äußerung gegen inländische Teile der Bevölkerung richten muss, weil nur der öffentliche Frieden der Bundesrepublik Deutschland gemeint sei. Die Tat ist geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören, wenn berechtigte Gründe für die Befürchtung des Eintritts einer solchen Störung bestehen. Dies wird bei derartigen Äußerungen regelmäßig der Fall sein. Anderes gilt, wenn sich die Äußerung z.B. nur gegen eine kleine Bevölkerungsgruppe richtet. Der Schriftenverbreitungstatbestand in Absatz 2 setzt hingegen nicht voraus, dass die Mitglieder der Gruppe, gegen die sich die Hassbotschaft richtet, im Inland aufhalten. Hier kommt es maßgeblich darauf an, dass die Äußerung (auch) im Inland verbreitet wird. Als „Schriften“ werden auch Wortbeiträge auf Datenträgerspeichern angesehen, sodass auch das Posten von Hassbotschaften auf Facebook unter diesen Tatbestand fällt.

Beispiele: „Diese Nafris sind doch alle Vergewaltiger und Sozialschmarotzer. Verrecken sollen sie, die Ratten! Ab mit ihnen in ein Flugzeug und dann über der Sahara abwerfen!“, „Der Jude kriegt den Hals nicht voll.“ Da sich die Taten auch gegen im Bundesgebiet lebende nordafrikanische Einwanderer bzw. Juden richtet, könnte ein Fall des Abs. 1 gegeben sein, vorausgesetzt, man kann begründen, dass hierdurch der öffentliche Frieden gestört wird. Anders wohl bei „Knallt die stinkende Niggerbande einfach ab!“, da sich diese Äußerung auf afrikanische Bootsflüchtlinge bezieht.

b) Absätze 3 und 4: strafbare Äußerungen zu NS-Verbrechen und Rechtfertigung der NS-Herrschaft Diese vergleichsweise neuen Straftatbestände wurden erst 1994 bzw. 2005 ins StGB aufgenommen.

Nach Absatz 3 macht sich strafbar, wer den Völkermord an den Juden billigt, leugnet oder verharmlost. Absatz 4 stellt die Billigung, Verherrlichung oder Rechtfertigung der nationalsozialistischen Willkür- und Gewaltherrschaft unter Strafe. Weil diese Straftatbestände ein ganz eigenes Thema darstellen, dem hier in der Kürze nicht angemessen entsprochen werden kann, wird von einer weiteren Darstellung abgesehen.

Auch relevant sein können:

§ 86 StGB Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen
§ 86a StGB Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen
§ 89a StGB Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat
§ 90 StGB Verunglimpfung des Bundespräsidenten
§ 90a StGB Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole
§ 90b StGB Verfassungsfeindliche Verunglimpfung von Verfassungsorganen
§ 91 StGB Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat
§ 111 StGB Öffentliche Aufforderung zu Straftaten
§ 126 StGB Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten
§ 129 StGB Bildung krimineller Vereinigungen
§ 129a StGB Bildung terroristischer Vereinigungen
§ 129b StGB kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland
§ 130a StGB Anleitung zu Straftaten
§ 131 StGB Gewaltdarstellung
§ 140 StGB Belohnung und Billigung von Straftaten
§ 166 StGB Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen
§ 184b StGB in Verbindung mit
§ 184d StGB Zugänglichmachen kinderpornografischer Schriften mittels Rundfunk oder Telemedien
§ 188 StGB Üble Nachrede und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens
§ 201a StGB Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen
§ 241 StGB Bedrohung
§ 269 StGB Fälschung oder Gebrauch beweiserheblicher Daten

Die oben näher erläuterten §§ 185 bis 187 und § 130 StGB sowie die vorstehend fettgedruckten Straftatbestände sind diejenigen, die Eingang in das NetzDG gefunden haben.

IV. Was kannst du tun, wenn du auf besonders üble Hassrede triffst oder selbst zur Zielscheibe von Beleidigung, übler Nachrede oder Verleumdung wirst?

Zunächst sollten die Beweise gesichert werden, die man für eine Strafanzeige, die förmliche Meldung bei Facebook oder die Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche benötigt: Screenshots des betreffenden Posts – möglichst so, dass hieraus auf die Tatzeit geschlossen werden kann – und gegebenenfalls der vorangehenden und nachfolgenden Kommunikation, Permalink des Posts und URL der Profilseite des Verfassers.

Danach kann eine Meldung bei Facebook und auch bei der jeweiligen Social-Media-Redaktion, unter deren Beitrag die Äußerung gepostet wurde, erfolgen. Das kann geschehen wie bisher (rechts oberhalb des Kommentars auf „Verbergen” klicken, Option „Kommentar verbergen” und weiter Option „Melden” wählen, dann „Es sollte meiner Meinung nach nicht auf Facebook sein.”, danach weiter durchklicken). Hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine förmliche Meldung, die ein Beschwerdeverfahren im Sinne des NetzDG in Gang setzt, sondern Facebook soll darüber informiert werden, dass durch den gemeldeten Beitrag oder Kommentar seine Gemeinschaftsstandards verletzt werden. Und Facebook findet bekanntlich erstaunlich selten, dass etwas gegen diese Standards verstößt.

Wenn du sicher bist, dass ein Inhalt strafbar ist und nicht im Netz stehenbleiben sollte, dann besteht die Möglichkeit einer förmlichen Beschwerde im Sinne des NetzDG: Seit dem 01.01.2018 muss Facebook gemäß § 3 Abs. 1 NetzDG ein „wirksames und transparentes Verfahren für den Umgang mit Beschwerden über rechtswidrige Inhalte vorhalten”. Dieses Verfahren muss leicht erkennbar, unmittelbar erreichbar und ständig verfügbar sein und gewährleisten, dass der Netzwerkbetreiber unverzüglich von der Beschwerde Kenntnis nimmt und prüft, ob die in der Beschwerde gemeldeten Inhalte rechtswidrig sind – also einen der oben genannten Straftatbestände verwirklichen und nicht gerechtfertigt sind.

Offensichtlich rechtswidrige Inhalte sind innerhalb von 24 Stunden nach Eingang der Beschwerde zu entfernen oder zu sperren. Ist eine intensivere Prüfung erforderlich, dann hat der Betreiber in der Regel sieben Tage ab Zugang der Beschwerde Zeit. Für die förmliche Beschwerde gemäß NetzDG hat Facebook ein Meldeformular entwickelt. Dieses findest du im Hilfebereich unter dem Reiter „Richtlinien und Meldungen“, Option „Netzwerksdurchsetzungsgesetz“. Dort sind auch die Anforderungen erläutert, die Facebook an eine Meldung nach dem NetzDG stellt:

https://www.facebook.com/help/285230728652028?helpref=hc_global_nav

Ob all das wirksam und transparent ist, sei dahingestellt. Insbesondere verlangt Facebook dem Meldenden eine eigene, begründete strafrechtliche Bewertung ab. Es besteht auch die Möglichkeit, den Hasskommentar – mit den oben genannten, nötigen Informationen (Permalink und Screenshot)

– an eine Beschwerdestelle weiterzuleiten, die sich der Sache annimmt, zum Beispiel: http://www.jugendschutz.net oder http://www.demokratiezentrum-bw.de/meldestelle-respect

Den Gesetzestext zum NetzDG findest du zum Nachlesen hier: https://www.gesetze-im-internet.de/netzdg/BJNR335210017.html

Daneben kann Strafanzeige erstattet werden: bei der nächsten Polizeidienststelle, bei der Online-Polizeiwache deines Bundeslandes oder schriftlich bei der Staatsanwaltschaft des Gerichtsbezirks, in dem du wohnst. Soweit du nicht selbst (durch eine Beleidigung oder Bedrohung) Geschädigter bist, kannst du die Anzeige auch anonym erstatten. Bist du geschädigt, solltest du wissen, dass Beleidigungsdelikte (§§ 185 ff. StGB) nur auf Antrag verfolgt werden und auch dies in der Regel nur in besonders gelagerten Fällen. Gerne verweist die Staatsanwaltschaft auf den sogenannten Privat-klageweg.

Die Privatklage wiederum ist für den Verletzten schon wegen des Kostenrisikos – und weil Zulässigkeitsvoraussetzung ein „erfolgloser Sühneversuch“ ist – ein unattraktives Verfahren. Hinzu kommt, dass deine persönlichen Daten zur Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft gelangen und damit für den Beschuldigten, sofern er denn ermittelt wird, zugänglich werden.

Weiterführende Hinweise findest du in dem wunderbaren Beitrag von Fabian Wichmann vom 5. März 2017 in der Timeline der Gruppe:

https://www.facebook.com/groups/718574178311688/permalink/764514473717658/

Wenn du durch einen Beitrag selbst in deinen Rechten verletzt wirst, fragt sich auch, welche zivilrechtlichen Ansprüche du hast. Was kannst du von wem verlangen? Dazu Folgendes:

  • Wird ein Betroffener durch Meinungsäußerungen und Tatsachenbehauptungen oder z. B. durch unerlaubte Verbreitung von Fotos, auf denen er zu sehen ist, in seinem Persönlichkeitsrecht bzw. seiner Ehre verletzt, dann hat er zunächst gegen den Nutzer, der den Beitrag eingestellt hat (den „unmittelbaren Störer “) einen Anspruch auf Beseitigung und, sofern Wiederholungsgefahr besteht, Unterlassung
  • Der Schädiger ist außerdem zu weiterem Schadensersatz verpflichtet. Dazu zählt auch, dass er dem Geschädigten die durch die Tat entstandenen Kosten (konkret: Rechtsanwaltskosten) zu erstatten hat.
  • Auch gegen den Betreiber des sozialen Netzwerks (hier: Facebook) steht dem Verletzten ein Beseitigungsanspruch zu:Wenn der Betreiber den Beitrag selbst eingestellt oder ihn sich zu Eigen gemacht hat, dann haftet er unmittelbar. Ob Facebook dadurch, dass durch seine Algorithmen letztlich für jeden Nutzer eine individuelle Auswahl dessen erfolgt, was in seinem Newsfeed oben erscheint, doch redaktionell arbeitet, ist in der Diskussion; der BGH sieht es bislang nicht so. Darum greift bei Facebook erst die mittelbare Störerhaftung : Der Betreiber muss die von den Nutzern ins Netz gestellten Beiträge zwar nicht vor der Veröffentlichung auf eventuelle Rechtsverletzungen prüfen. Er muss auch nicht laufend die Plattform nach rechtswidrigen Posts durchsuchen, um diese zu löschen. Er ist aber für die Inhalte verantwortlich, sobald er Kenntnis von den Rechtsverletzungen erlangt – und war dies auch bereits vor Inkrafttreten des NetzDG. Meldet ein Betroffener dem Betreiber, dass ein von einem anderen Nutzer eingestellter Beitrag ihn in seinem Persönlichkeitsrecht verletze, und ist die Beanstandung ausreichend konkret gefasst, hat der Betreiber den gesamten Sachverhalt zu ermitteln und zu bewerten. Ist für den Betreiber von einer rechtswidrigen Verletzung des Persönlichkeitsrechts auszugehen, so muss er den Beitrag löschen (BGH, Urteil vom 01.03.2016, „Jameda II”). Schadensersatzansprüche bestehen gegen den Betreiber erst, wenn er einer ersten Beseitigungsaufforderung nicht nachgekommen ist.Wie weit etwaige Prüf- und Überwachungspflichten nach der einmal erfolg ten Mitteilung einer Rechtsverletzung reichen, ist bislang nicht abschließend geklär t. Das OLG Würzburg hat kürzlich verneint, dass Facebook das gesamte Por tal nach weiteren, entsprechenden Rechtsverstößen durchforsten muss (Fall Anas M.).

Die Durchsetzung der Ansprüche bereitet ebenso Probleme wie die strafrechtliche Verfolgung von Kommentaren, weil die Identität der Täter oft nicht aufgeklärt werden kann. Viele Hater verstecken sich hinter anonymen Profilen oder treten mit Allerweltsnamen auf. Die persönlichen Daten sind in den seltensten Fällen auf der Profilseite des Täters hinterlegt. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, welche Auskunftsansprüche gegen den Betreiber des Internetportals in Bezug auf die Anmeldedaten des Nutzers oder dessen IP-Adresse bestehen.

Hierzu sagt der BGH bislang (Urteil vom 01.07.2014, „Jameda I“), dass ein Auskunftsanspruch nur dann gegeben ist, wenn der Nutzer dem Diensteanbieter im Vorwege sein Einverständnis mit der Auskunftserteilung gegeben hat (was praktisch nicht vorkommt) oder aber der Diensteanbieter im Einzelfall für Zwecke der Strafverfolgung Auskunft über Bestands- , Nutzungs- und Abrechnungsdaten erteilen müsste. Das bedeutet, dass man derzeit an den Schädiger selbst nur dann rankommt, wenn dessen Post strafrechtlich relevant ist, zum Beispiel weil er einen Beleidigungstatbestand erfüllt. Liegt „nur“ eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vor (z. B. bei unbefugter Weiterverwendung privater Fotos), dann ist ein Auskunftsersuchen aussichtslos.

Das NetzDG schreibt nun in § 5 Abs. 2 vor, dass ausländische Plattformbetreiber im Inland Stellen unterhalten müssen, an die inländische Ermittlungsbehörden Auskunftsersuche richten können, auf die binnen 48 Stunden zu antworten ist. Das dürfte den Ermittlungsbehörden die Arbeit erleichtern: Bei den großen Betreibern sozialer Plattformen hatten die Staatsanwaltschaften nämlich bislang keinen Ansprechpartner in Deutschland. Auskünfte in den USA anzufordern, ist eine ausgesprochen langwierige Angelegenheit und kann etliche Monate dauern. Im Übrigen ist hier die Erfolgsquote gering, weil es den Straftatbestand der Volksverhetzung in den USA nicht gibt und die rechtlichen Grenzen der Meinungsfreiheit dort wesentlich weiter gefasst sind.

Inwieweit Facebook auch in zivilrechtlichen Angelegenheiten Zustellungen an den inländischen Zustellungsbevollmächtigten im Sinne des § 5 NetzDG gegen sich gelten lassen wird, bleibt abzuwarten.

Bei alledem gilt: Nichts ist in Stein gemeißelt. Gesetzgebung und Rechtsprechung haben Hate Speech und Fake News in sozialen Netzwerken erst seit einigen Jahren auf dem Schirm und seither ist alles im Fluss – wenn auch nur zäh.

Stand: Januar 2018

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