Podiumsdiskussion „Wie gehen Hamburg und seine Bürger*innen mit Hass im Netz um?“

Dezember 3, 2021/0/0

 

Am 1. Dezember fand in der Hamburger Zentralbibliothek im Hühnerposten die Podiumsdiskussion „Wie gehen Hamburg und seine Bürger*innen mit Hass im Netz um?“ statt. Unter 2G-Regeln diskutierte #ichbinhier-Gründer Hannes Ley mit Frida Kammerer, Community-Redakteurin der Tagesschau, Arnold Keller, Leitender Oberstaatsanwalt bei der Generalstaatsanwaltschaft Hamburg, Iftikhar Malik, Jurist und Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft, und Daniella Domokos, Head of IT & LegalTech bei HateAid. Tina Burova und Rami Olsen begleiteten das Programm musikalisch, den Abend eröffnete Frauke Untiedt, Leiterin der Hamburger Bücherhallen.

v.l.n.r. Hannes Ley, Frida Kammerer, Iftikhar Malik, Daniella Domokos, Arnold Keller

Hassbegegnungen im Alltag

Iftikhar Malik begleitet der Hass seit Beginn seines Engagements als Kommunalpolitiker. Schon auf seine Kampagnenvideos zur Kandidatur für die Hamburg-
ische Bürgerschaft reagierten viele Menschen mit Hasskom-
mentaren, Beleidigungen und Drohungen. „Seitdem denke ich zehn Mal darüber nach, was und ob ich poste, oder ob mir jemand vor meinem Büro auflauert“, berichtet Malik.

Für Frida Kammerer dagegen gibt es auf den Social Media-Seiten der Tagesschau ein geteiltes Bild, ruhige Tage, aber auch Tage, „da fahre ich den Rechner hoch und das Internet ist gefühlt schon abgebrannt.“ Um die 50.000 Kommentare filtert die Redaktion der Tagesschau täglich. Wie hoch der Anteil von Hasskommentaren ist, komme auf das Thema, die politische Lage oder manchmal auch auf die Person an, die an dem Tag für die Tagesschau spreche. Ordnet die Redaktion einen Kommentar als strafrechtlich ein, geht dieser an die hauseigene Justizabteilung und von dort zu den Strafverfolgungsbehörden.

Die Kommentarspalten sind kein rechtsfreier Raum

Dass immer mehr Hasskommentare angezeigt werden, dankt Arnold Keller den vielen Projekten und Initiativen, die sich dem Thema Hassrede annehmen und Aufklärungsarbeit leisten. Zudem sei es durch die Hamburger Koordinierungsstelle OHNe Hass einfacher geworden, Hassrede anzuzeigen. Das gilt zwar vorerst nur für öffentlich-rechtliche Institutionen, Medienunternehmen, Beratungsstellen und Nichtregierungsorganisationen, aber auch für einzelne Bürger*innen enthält die Website Wege, Tipps und Hinweise für eine Anzeige von Hasskommentaren. Wichtig sei dabei eine sichere Beweisführung, also Datum, Screenshots und Adresse des Kommentars zu sichern.

Für Daniella Domokos sind es besonders Betroffenenberatungsstellen wie HateAid, die im Strafverfolgungsprozess eine wichtige Rolle spielen. „Viele Hasskommentare werden nicht angezeigt, weil nicht juristisch ausgebildete Menschen überfordert sind, diese zu erkennen,“ beobachtet sie. Bei HateAid arbeite sie dagegen mit Betroffenenjourneys; das sind feste Prozesse, die es für von Hass betroffene Menschen einfacher machen, ein Strafverfolgungsverfahren einzuleiten und zu begleiten.

Tina Burova und Rami Olsen

Was hilft Betroffenen und gegen Hassrede?

Als Iftikhar Malik durch seine Kandidatur für die Hamburgische Bürgerschaft angefeindet wurde, bekam er zugleich eine Welle der Solidarität. Diese habe ihm nicht nur dabei geholfen, den Hass durchzustehen, sondern auch Abstand zu nehmen, sich weiterzubilden und etwas dagegen zu tun. Es brauche mehr Schul- und Jugendarbeit zu dem Thema. Frida Kammerer dagegen sieht auch die Generationen in der Pflicht, die nicht mit dem Smartphone aufgewachsen sind. Auch dort müsse mehr für Medienkompetenz getan werden.

Auf die Frage von Hannes Ley, wie denn die perfekte Betroffenenberatung aussehe, entgegnet Daniella Domokos: „Ich rufe bei einer Betroffenenberatung an und habe sofort die Person erreicht, die mir bei meinem Problem am besten und schnellsten helfen kann.“ Das sei allerdings schwer, da sich bei HateAid pro Woche 30-50 neue Klient*innen melden. Das mache Gegenrede und ein Einstehen für konstruktive Diskussionskultur von Gruppen wie #ichbinhier so wichtig.

Vorfreude auf Februar 2022

Einen Aufschwung in der Verfolgung von Hasskommentaren sieht Arnold Keller ab Februar 2022 kommen. Mit einem neuen Paragrafen im Netzwerkdurchsetzungsgesetz werden Social Media-Plattformen ab zwei Millionen Nutzenden in die Pflicht genommen, Hasskommentare zu melden und zu entfernen. Gerechnet wird mit bis zu 150.000 Strafverfahren pro Jahr, für seine Staatsanwaltschaft in Hamburg rechnet er mit 3.000-4.000 Verfahren.

Dass andere in die Pflicht genommen werden, findet auch Daniella Domokos gut. Von Hass betroffene Menschen seien nicht nur überfordert, einen Kommentar anzuzeigen, sondern oft auch abgeschreckt. Vielen fällt es schwer zu bewerten, ob es sich tatsächlich um ein Hassposting handelt, und ob sich der Aufwand lohnt. Zudem werden Bürger*innen vor der Erstattung einer Strafanzeige erstmal davor gewarnt, dass sie sich bei einer Falschaussage strafbar machen können, was zusätzliche Zweifel erzeugen kann.

Darin sieht Arnold Keller keine Gefahr, da die Aufgabe, herauszufinden, ob etwas Hassrede ist, bei der Justiz und nicht den Bürger*innen liege. Einig sind sich aber beide: Es müsse mehr sensibilisiert und aufgeklärt werden. Sich wegen Hass aus dem Internet zurückzuziehen, ist keine Lösung, im Gegenteil. Für Keller gilt das Recht auf demokratische Beteiligung. Wenn ich mich aus Angst vor Hass und Hetze aus dem Internet zurückziehe, ist dieses Recht verletzt. Damit das nicht passiert, brauche es die neuen Maßnahmen im Rechtsschutz, zivilgesellschaftliche Initiativen und gute pädagogische Arbeit.

Die Podiumsdiskussion wurde ebenfalls auf YouTube live übertragen. Hier ist der Mitschnitt zum Nachgucken.

Die Podiumsdiskussion „Wie gehen Hamburg und seine Bürger*innen mit Hass im Netz um?“ ist eine Veranstaltung von #dubisthier, dem gemeinsamen Projekt der Hamburger Bücherhallen und dem ichbinhier e.V.

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