Wer bin ich – und wenn ja, wie viele? Stellungnahme zur niedersächsischen Initiative für eine Identifizierungspflicht im Netz

Februar 11, 2020/0/0

Der niedersächsische Innenminister Pistorius macht sich für eine Identifizierungspflicht in den Sozialen Netzwerken stark. ichbinhier e.V. begrüßt den Vorstoß.

Stockphoto: Sebastiaan Stam via pexels.com

 

Einen Account bei Facebook anzulegen, dauert fünf Minuten.

Das Anmeldeformular verlangt die Angabe von Vor- und Nachnamen, Geburtstag, Geschlecht. Wie heißt du heute? Du hast die freie Auswahl! Es prüft ohnehin niemand nach. Weiter sind noch eine Handynummer oder eine Mailadresse anzugeben. Hm, Handynummer? Da wird es schon komplizierter, wenn du nicht willst, dass deine wahre Identität auffliegt. Auch Prepaid-Karten bekommst du in Deutschland heutzutage nämlich nicht mehr einfach so. Die wollen deinen Ausweis sehen. Ist seit einigen Jahren so vorgeschrieben. Macht nichts: Ein Mailaccount kann bei Webmailprovidern immer noch ohne Identitätsnachweis angelegt werden. Auch das ist schnell gemacht. Eins, zwei, drei, fertig ist der Fake Account!   

Zwar haben erstaunlich viele Nutzer*innen Sozialer Medien keine Hemmungen, unter Klarnamen zu beleidigen und zu bedrohen. Aber es gibt auch solche, die anonym bleiben möchten. Weil sie mehrere Accounts gleichzeitig betreiben, um so unter unterschiedlichen Identitäten Einfluss auf das Meinungsbild im Netz zu nehmen. Und weil sie rechtliche Konsequenzen vermeiden möchten, wenn sie die Grenzen zur Strafbarkeit überschreiten. Seit Jahren wird in den Sozialen Medien von anonymen Accounts hemmungslos gehetzt, bedroht und beleidigt. Unter Allerwelts- oder Phantasienamen. Mit Haustieren, Landschaften, Comicfiguren oder Schwarz-Rot-Gold im Profilbild. Die Personen hinter diesen Accounts sind ausgesprochen schwierig zu ermitteln. Sie fühlen sich sicher. Und das nutzen sie aus. Ohne ernstzunehmendes Strafverfolgungsrisiko erscheint ihnen das Internet als rechtsfreier Raum, in dem sie tun und lassen können, was sie wollen. 

Das muss sich ändern. Wir empfehlen deshalb seit geraumer Zeit, dass die Plattformbetreiber die Identität ihrer Nutzer*innen authentifizieren sollten. Genau dies hat nun auch der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius gefordert. Das niedersächsische Kabinett hat in der vergangenen Woche einer entsprechenden Bundesratsinitiative des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport zugestimmt. Die Zeit hierfür ist reif.

Warum nicht genauer hinschauen?

Aus anderen Bereichen kennen wir die Identifizierungspflicht. Aus dem Straßenverkehr: Jedes Auto, das auf die Straße soll, muss angemeldet und mit Nummernschild versehen sein. Über das Kennzeichen kann die Halteridentität ermittelt werden, wenn ein Fahrzeug durch Verkehrsverstöße auffällt oder an einem Unfall beteiligt ist. Eine Selbstverständlichkeit. Oder aus der Verbrechensbekämpfung: Kriminelle nutzen vorzugsweise Prepaid-Karten. Und zwar vorzugsweise unter fiktiven Personalien erlangte. Weil dies den Ermittlungsbehörden ihre Arbeit erheblich erschwert, hat der Gesetzgeber in § 111 TKG Identifizierungspflichten der Telekommunikationsanbieter verschärft. Seit 2017 müssen Mobilfunkkund*innen beim Erwerb einer SIM-Karte ihren Ausweis vorlegen oder ihre Identität per Videochat oder Post-Ident-Verfahren verifizieren lassen.

Auch die Sozialen Medien sind Schauplatz von – teils organisierter – Kriminalität. Mit orchestrierten Hasskampagnen werden Angehörige von Minderheiten und Andersdenkende eingeschüchtert, verängstigt und mundtot gemacht. Durch digitale Gewalt wird ein Klima der Angst geschaffen. Das Ziel solcher Hasskampagnen ist es, die Menschen aus den öffentlichen Debatten herauszudrängen. Diese Strategie hat leider oftmals Erfolg. Kommunalpolitiker*innen geben ihr Amt auf. Journalist*innen und Aktivist*innen müssen Sorge um ihre eigene Sicherheit und die ihrer Familien haben. Und Internet-Nutzer*innen trauen sich nicht, sich in den Sozialen Medien öffentlich zu Themen unserer Zeit zu äußern. Es ist ein legitimes Mittel im Vorgehen gegen Online-Hasskriminalität, wenn künftig auch die Sozialen Medien nicht mehr ohne Identitätsnachweis genutzt werden dürfen. Potentielle Täter*innen verlieren den Schutz der Anonymität. Und Ermittlungsbehörden und Justiz können ihre Arbeit machen.

Unverzichtbar: Pseudonymität im Netz

Gegen Anonymität im Internet zu sein, heißt nicht, für die immer wieder ins Spiel gebrachte Klarnamenpflicht zu plädieren. Eine Klarnamenpflicht schadet mehr, als sie nützt. Ohne Klarnamen im Netz aktiv sein zu können, ist für manche Internetnutzer*innen immens wichtig. Vor allem für diejenigen, die in besonderem Maße gefährdet sind, zur Zielscheibe von Anfeindungen zu werden – sei es wegen ihrer Herkunft, ihrer Religion, ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Ausrichtung oder ihrer politischen Haltung. Offenbar hat sich diese Erkenntnis mittlerweile auch in der Politik durchgesetzt. Die niedersächsische Initiative zielt ausdrücklich nicht auf eine Klarnamenpflicht ab, sondern auf die Richtigkeit der hinterlegten persönlichen Daten. Demzufolge müsste es unserem Verständnis nach den Nutzer*innen weiterhin freigestellt sein, unter welchem Namen sie im Netz auftreten. Dies darf auch ein Pseudonym sein.

Pseudonymität bedeutet nicht Anonymität: Hinter einem pseudonymen Account steht eine authentische Person. Die Informationen, die die Identifizierung dieser Person ermöglichen, darf der Plattformbetreiber herausgeben, vorausgesetzt, es gibt dafür eine Rechtsgrundlage – und bei Auskunftsersuchen von Privatpersonen eine gerichtliche Entscheidung. Hierdurch bleiben die Nutzer*innen in unserem bestehenden Rechtssystem geschützt.

Der Haken an der Sache

Kommen wir zum kritischen Teil. Der Gesetzesantrag der Länder Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern (siehe Link am Ende des Beitrags) sieht vor, dass Nutzer*innen bei ihrer Neuregistrierung nicht nur ihren Namen und das Geburtsdatum, sondern auch ihre Anschrift angeben müssen. Und weil damit allein wenig gewonnen wäre, sind die Angaben zu überprüfen: durch Vorlage eines amtlichen Ausweisdokuments, durch elektronische Identifizierung – der Entwurf nennt hier allein drei unterschiedliche Wege – „oder durch andere geeignete Verfahren“. 

Es stellt sich die Frage, wie praktikabel oder wie fälschungssicher die jeweiligen Methoden sind. Und dann ist da noch die Sache mit dem Datenschutz. Der Gedanke an all unsere persönlichen Daten in der Hand der Plattformbetreiber bereitet ein großes Unwohlsein. Was stellt man dort damit an? In Zeiten von Cambridge Analytica und Microtargeting kann man es sich ausmalen. Vor allem dann, wenn der eine Internetriese die Daten mit denen verknüpft, die ein anderer Internetriese vom selben Nutzer gesammelt hat. 

Besser wäre deshalb eine Lösung, bei der die Authentifizierung nicht in der Hand der Plattformen selbst läge, sondern Nutzer*innen Sozialer Medien bei einer staatlichen oder zertifizierten Stelle einen Code erhalten würden, mit dem sie sich bei sämtlichen Plattformen anmelden könnten. Die Plattformen hätten auf Auskunftsverlangen lediglich diesen Code herauszugeben. Bei der zuständigen Stelle könnten sodann Auskunftsberechtigte die dort hinterlegten persönlichen Daten erfragen.

Uns ist bewusst, dass ein solches Identifizierungsverfahren für die Nutzer*innen und die Plattformbetreiber mit einigem Mehraufwand verbunden ist. Uns ist auch bewusst, dass die Unternehmen, die aus wirtschaftlichen Gründen möglichst hohe Nutzerzahlen vorweisen möchten, hieran kein Interesse haben werden. Aber in den letzten Jahren hat sich immer deutlicher gezeigt, dass das Internet und insbesondere die Sozialen Medien große Gefahren für das gesellschaftliche Klima, den demokratischen Diskurs und die öffentliche Sicherheit mit sich bringen. Deshalb halten wir eine Identifizierungspflicht für den richtigen Schritt.

Die Rechte der Nutzer*innen und der Plattformbetreiber werden durch die Identifizierungspflicht zwar eingeschränkt, aber zur Bekämpfung von Hasskriminalität sind solche Einschränkungen berechtigt. Die Plattformbetreiber, deren Geschäftsmodell es ist, dass möglichst viele Nutzer*innen möglichst viel Zeit auf ihrer Plattform verbringen, sind in der Verantwortung, die mit ihrem Angebot einhergehenden Risiken zu minimieren. Und der Zugang der Menschen zu den Sozialen Netzwerken wird dadurch im Ergebnis nicht übermäßig erschwert. Das Ansinnen, anonym im Netz gegen Minderheiten hetzen und Bedrohungen und Beleidigungen aussprechen zu dürfen, ist nicht schützenswert.

Eine weniger aufwändige und eingriffsintensive Alternative könnte außerdem bereits heute, und ohne dass es technischer Weiterentwicklung bedürfte, darin bestehen, dass bei der Registrierung eines neuen Accounts in Deutschland neben Namen, Geburtsdatum und Anschrift zwingend auch eine (deutsche) Rufnummer hinterlegt werden muss. Der Account würde, wie schon jetzt, erst freigeschaltet werden, wenn die Anmeldung mittels eines an die Rufnummer gesandten Codes bestätigt wurde. In Verbindung mit der 2-Faktor-Authentifizierung könnten Datensicherheit und Identifizierbarkeit bestmöglich miteinander verbunden werden. Postet der Account strafbare Inhalte, dann kann die dahinter stehende Person über die hinterlegte Rufnummer ermittelt werden.

So oder so: Alle Fake Accounts wird man nicht enttarnen können.

Bereits jetzt betreiben gerade Hasskommentator*innen mehrere – nicht authentische – Accounts gleichzeitig. Hier müsste eine nachträgliche Überprüfung derjenigen Accounts vorgesehen werden, die mit rechtswidrigen Hasspostings auffallen und bei denen begründete Zweifel an der Richtigkeit der hinterlegten persönlichen Daten bestehen. Auch sollte eine gesetzliche Regelung geschaffen werden, die dazu verpflichtet, solche Accounts zu löschen oder zumindest im Bundesgebiet zu sperren.

Ein weiteres Problem besteht darin, dass vielfach auch aus dem Ausland Einfluss auf die Debatte in den Sozialen Medien genommen wird. Diejenigen, die hinter diesen ausländischen Accounts stehen, würden von einer bundesdeutschen Identifizierungspflicht nicht erfasst. Bezüglich solcher ausländischer Accounts sollte die Möglichkeit geschaffen werden, sie jedenfalls im Bundesgebiet zu sperren, wenn sie – und sei es wiederholt – Inhalte posten, die nach deutschem Recht strafbar sind.

Eines steht außer Frage: Die Identifizierungspflicht allein wird keine Wunder vollbringen. Es bedarf eines Bündels von Maßnahmen in Politik, Medien und Gesellschaft, um das Phänomen der Online-Hasskriminalität in den Griff zu bekommen. Aber wir meinen, dass die Identifizierungspflicht in dem Maßnahmenbündel nicht fehlen darf.    

Sonja Boddin, netzpolitische Sprecherin ichbinhier e.V.

im Februar 2020

Gesetzesantrag der Länder Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern:
https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2020/0001-0100/70-20.pdf?__blob=publicationFile&v=1

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