Roland Berger Preis für Menschenwürde für #ichbinhier und „ichbinhier e.V.“

Januar 29, 2020/0/0

Am 24.01 2020 wurde in München der Roland Berger Preis für Menschenwürde an die Aktionsgrupppe #ichbinhier und ichbinhier e.V. verliehen. Stifter und Namensgeber  Prof. Dr. h.c. Roland Berger übergab den Preis an in Gruppengründer Hannes Ley.

Anwesend bei der Feier im Spatenhaus am Opernplatz waren der Justizminister Bayerns, Georg Eisenreich, Kuratoriumsmitglieder und Mitarbeiter:innen der Roland Berger Stiftung, der Vorstand von ichbinhier e.V. und einige Mitglieder des Moderatoren:innentams von #ichbinhier.

„Thema der heutigen Verleihung ist der demokratische Diskurs in unserer freiheitlichen Gesellschaft. Wie weit geht Meinungsfreiheit? Welche Beleidigungen müssen wir alle, insbesondere aber Politiker und andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, hinnehmen? Wo beginnt die sprachliche Verrohung, welche die Menschenrechte missachtet und einer zivilisierten Gesellschaft unwürdig ist?

Sprache prägt unser Denken und beeinflusst unser Handeln. Wo Hass und Hetze den Diskurs dominieren, ist der Weg zur realen Ausübung von Gewalt nicht mehr weit. Das Kernproblem insbesondere im Online-Diskurs ist, dass die schweigende Mehrheit den lautstarken Hetzern die Deutungshoheit über die Geschehnisse überlässt, die dadurch stärker wirken, als sie es in Wahrheit sind.“Preisrede von Prof. Dr.hc Roland Berger

Rede von Hannes Ley, Gründer von #ichbinhier  und Vorstand des Vereins ichbinhier e.V.

Sehr geehrte Damen und Herren!
Ich bin kein Freund der vielen Worte. Deswegen versuche ich mich in aller Kürze an den ganz großen: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Ein paar tausend Jahre, viele kluge Köpfe und große Krisen der Menschheit hat es gebraucht, um dieser einfachen Aussage einen allgemeingültigen Platz im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland zu verschaffen. Allgemeingültig im Sinne unseres modernen Rechtsverständnisses ja, selbstverständlich im alltäglich Miteinander ist sie jedoch keineswegs und war sie vielleicht auch noch nie wirklich. Große und kleine politisch motivierte Verletzungen setzen der allgemeinen Menschenwürde immer mehr zu und legen sich wie ein bleierner völkischer Schatten schwer auf unsere einst so hoffnungsvolle und aufstrebende Demokratie, stellen diese sogar in Frage und lassen sie immer öfter verunsichert, desillusioniert und schwach erscheinen. Viele von uns schauen deshalb verängstigt in die Zukunft. Viele von uns sorgen sich um die Menschenwürde und viel mehr noch um ihre eigene Würde. Ganz langsam wächst in uns die Erkenntnis, dass der Staat allein vom Schutz der Menschenwürde überfordert ist und an Autorität und Deutungshoheit verloren hat und dass wir, die Zivilgesellschaft, für die Grundsätze unserer Demokratie in die Bresche springen und sie verteidigen müssen, wenn sie uns wirklich am Herzen liegt und eben nicht egal ist. Aber seien wir auch ehrlich: Nicht nur in den sozialen Medien, dem Spiegel der analogen Gesellschaft, dem neuen Ort der Zügellosigkeit, sondern auch bei öffentlichen Veranstaltungen und Demonstrationen erleben wir erschreckende Ausmaße an entwürdigender Sprache von Menschen, die sich noch vor einigen Jahren niemals getraut hätten, ihre abwertenden Aussagen laut auszusprechen. Auch sie sind ein Teil unserer Zivilgesellschaft. Und gerade sie sind ein besonders lauter Teil der Zivilgesellschaft. Woher stammt dieser erneute Zweifel an der Allgemeingültigkeit der Menschenwürde? Liegt die Ursache im verletzten Stolz und im Trotz derjenigen Menschen begründet, die sich entwürdigt fühlen? Oder liegt es daran, dass wir nur noch diejenigen würdigen, die Leistung erbringen und die einen direkten Nutzen für uns oder die Gesellschaft haben? Vor zweitausend Jahren unterschied Cicero zwischen der menschlichen und der gesellschaftlichen Würde. Dort, wo Cicero vom Menschen im Gegensatz zum Tier redet, billigt er jedem Menschen eine Würde zu. Im Hinblick auf die gesellschaftliche Würde spricht er jedoch von einem Konzept der Würde, das sich auf den Nutzen des Einzelnen für die Gesellschaft bezieht. In diesem Sinne ist Würde für ihn auch eine zu erwerbende Eigenschaft und muss erst verdient werden. Die aufgeklärte Gesellschaft jedoch weiß spätestens seit Kant, dass „Würde“ den absoluten, niemals gegenrechenbaren Wert der Menschheit überhaupt bezeichnet. Sprich: Sie ist dem einzelnen Menschen als Repräsentanten der Menschheit angeboren.
Mir scheint, dass wir uns in einer Krise der Aufklärung befinden. Mir scheint, dass die Würde heute wieder antastbar geworden ist. Würde ist so flüchtig wie ein Verb: Mal wird gewürdigt, mal wird entwürdigt. Menschenwürde ist zu einer Kosten-/Nutzenrechnung verkommen: Würde er Steuern zahlen, würde ich ihn akzeptieren. Würde er meine Sprache sprechen, würde ich ihn integrieren. Ich glaube, uns aufgeklärten Menschen hier im Raum ist klar, dass wir die Menschenwürde mit Händen und Füßen verteidigen und schützen müssen. Die Frage ist nur, wie wir das in diesen Zeiten anstellen wollen. #ichbinhier hat einen Weg gefunden, indem sich die Bewegung seit nunmehr drei Jahren erfolgreich entwürdigender Sprache in den Facebook-Kommentarspalten entgegenstellt. Doch wer wirklich nachhaltig Veränderung schaffen will, der darf nicht nur reagieren. Sie oder er müssen agieren und Zukunft gestalten. Derzeit liegt unser Fokus aber darauf, Menschen in Schutz zu nehmen, die besonders schlecht behandelt werden. Das ist richtig. Und trotzdem wissen wir, dass wir insbesondere bei den Menschen ansetzen müssen, die negativ und positiv handeln. Denn sie sind es, die Realitäten schaffen und unsere Gesellschaft prägen und zukunftsfähig machen. Und hier komme ich zurück auf den Begriff der Würde im gesellschaftlichen Kontext. Ich teile den Würdebegriff Kants und bezeichne mich selbst in Anlehnung an Sternberger und Habermas als Verfassungspatriot: Kein Zweifel… die Würde des Menschen ist unantastbar. Und doch bin ich der festen Überzeugung, dass diese Aussage ihre wahre Kraft erst dann entfalten kann, wenn der Mensch seine ihm per Geburt verliehene Würde nicht nur bestätigt weiß, sondern sie auch für sich wirklich empfindet. Würde zu empfinden, dass bedeutet für mich, sich selbst mitsamt den eigenen Stärken und Schwächen zu akzeptieren, seinen eigenen Wert und sein eigenes Potenzial zu erkennen und seine Fähigkeiten für das eigene und das Wohl anderer einzusetzen. Das setzt Selbstbewusstsein und den Willen voraus, einen positiven Beitrag zur Gesellschaft zu leisten. Die Roland Berger Stiftung und ichbinhier haben sich beide nicht nur vorgenommen, die Menschenwürde zu schützen, sondern auch Menschen dazu zu befähigen, selbstbewusste, und kreative sowie empathische und selbstlose Akteure einer toleranten und freien Gesellschaft zu werden. Wir alle erinnern uns an wundervolle Menschen, die uns genau das vorgelebt haben. Unsere Eltern, ein besonderer Lehrer, Mentoren oder Freunde, die uns geholfen haben, uns selbst zu finden und der Mensch zu werden, der wir sein wollen. Wir werden sie nie vergessen. Sie waren und sind unsere Vorbilder, denn sie haben Großartiges geleistet. Warum? Weil wir durch sie wissen, dass nichts schöner anzusehen ist als ein selbstbewusster, starker und bescheidener Mensch, der für eine Sache brennt, sein Bestes gibt und sich für andere einsetzt. Das ist pure Kraft und sie hat eine besondere Quelle: die Liebe. Und es ist die Liebe zum Menschen, die unsere Gesellschaft voranbringt, und nicht der Hass. Es ist die Liebe zum Menschen, für die es sich lohnt zu leben. Im Namen von 45.000 wunderbaren Menschen, den 25 selbstlosen Moderator*innen der Facebook-Gruppe, im Namen des engagierten Vereinsvorstands und der treuen Mitglieder des Vereins und als Gründer von ichbinhier möchte ich mich ganz besonders herzlich für den Preis für Menschenwürde bedanken, denn uns liegt es ganz besonders am Herzen, der Menschenwürde in all ihren Facetten Ausdruck zu verleihen. Vielen lieben Dank!
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