Tüfteln, Schrauben und Löten im BMJV

Januar 21, 2020/0/0

Es war ruhiger geworden um das Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken, kurz: NetzDG. Nach den Erfahrungen aus zwei Jahren laufendem Betrieb und vielfältiger Kritik soll es nun aber ein kräftiges Update bekommen. Erste Details sickern dieser Tage durch. Wie es aussieht, sollen vor allem die Rechte der Nutzer*innen gestärkt werden. Der Entwurf aus dem BMJV, der sich gerade zwischen den Ressorts in der Abstimmung befindet, liegt uns noch nicht vor, aber es zeichnet sich schon ab, dass wir und andere Vertreter*innen der Zivilgesellschaft mit unseren zentralen Forderungen gehört wurden. Wir sind verhalten optimistisch, bleiben dran und werden weiter berichten.

Kurzzeitig war – und das nicht nur bei uns – Verwirrung aufgetreten. Ende letzten Jahres hatten wir nämlich einen ganz anderen Referentenentwurf aus dem Ministerium übersandt bekommen, den Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität. Und um diesen soll es hier gehen. Denn wir haben gemeinsam mit Das NETTZ, HateAid, Campact, Reconquista Internet und dem No Hate Speech Movement eine ausführliche Stellungnahme verfasst und am vergangenen Freitag an das BMJV übersandt. Sie ist am Ende des Beitrags verlinkt.

Warum wir verwirrt waren? Auch dieser Referentenentwurf sieht Änderungen des NetzDG vor. Zwar von enormer Wirkungskraft, aber doch eher spärlich. Vieles, was wir erwartet hatten, fehlte. Vor allem zielt dieser Entwurf auf eine Verschärfung des Strafrechts und eine Erhöhung des Verfolgungsdrucks insbesondere für rechtsextreme Hater*innen ab. Nach dem Mord an Walter Lübcke und dem Anschlag von Halle hatte das Thema Hass im Netz einen neuen Dreh bekommen. Spätestens jetzt sieht man im BMJV den engen Zusammenhang zwischen Rechtsextremismus und Hasskriminalität und hat die Bekämpfung dieser beiden Phänomene ganz oben auf die Agenda gesetzt. 

Mit dem Löschen rechtswidriger Inhalte allein ist der Radikalisierung im Netz und den zersetzenden Wirkungen von Hate Speech nicht beizukommen. Aber auch die Strafverfolgung ist nicht das Allheilmittel. Deshalb fragten wir uns: Ist das jetzt alles? Was wird aus all den anderen Baustellen? Aus der besseren Beteiligung der Nutzer*innen? Aus der Stärkung ihrer Rechte im Beschwerdeverfahren? Aus dem Auskunftsanspruch für die Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche? 

Hinzu kam, dass das, was über diesen ersten Referentenentwurf vor Weihnachten 2019 ans Tageslicht drang, in der Öffentlichkeit für Negativschlagzeilen sorgte. Und für Aufregung. Auch bei uns.

Was sich zuvor schon angedeutet hatte, nun sollte es wirklich kommen: eine Pflicht der Plattformen, bestimmte rechtswidrige Hasspostings dem BKA zu melden. Mit dazugehöriger IP-Adresse und Portnummer. Ein großer Schritt und ein Paukenschlag. Aber warum ans BKA? Was kommt da auf die Strafverfolgungsbehörden zu? Was passiert mit all den Daten?

Der nächste Paukenschlag folgte wenig später. Bundesjustizministerin Lambrecht plane „eine Pflicht für WhatsApp, Gmail, Facebook, Tinder & Co., schon jedem Dorfpolizisten und zahlreichen weiteren Sicherheitsbehörden auf Anfrage sensible Daten von Verdächtigen wie Passwörter oder IP-Adressen teils ohne Richterbeschluss herauszugeben“, so schrieb zum Beispiel Heise Online. Das ist zwar so nicht ganz richtig. Aber die bestehende und die geplante Rechtslage zur Erhebung von „Zugangssicherungscodes“ im Detail interessierte weniger. Und wie das alles technisch und datenschutzrechtlich funktionieren und welche praktische Relevanz es haben soll, war auch unklar. Das Bild vom drohenden Überwachungsstaat war in der Welt, und fortan gab es kein Halten mehr. Die Bundesjustizministerin erhielt Morddrohungen, und das Ministerium hatte sein „Passwortgate“.

Die geplanten weiteren Änderungen fanden daneben kaum Beachtung. Einige wirklich sinnvolle Änderungen des Strafgesetzbuchs, mit denen Strafbarkeitslücken geschlossen werden. Eine eher halbherzige Überarbeitung der Beleidigungsdelikte. Der Anspruch der Strafverfolgungsbehörden gegen die Diensteanbieter auf Erteilung von Auskunft über die Bestandsdaten zu den Accounts, die strafbare Inhalte posten. Und der Clou: In § 1 Abs. 4 NetzDG-E wird klargestellt, dass sämtliche Beschwerden unter das NetzDG fallen, die erkennen lassen, dass rechtswidrige Inhalte beanstandet werden, deren Löschung angestrebt wird. Diese Klarstellung ist leider nötig geworden, nachdem Plattformbetreiber ab Januar 2018 Beschwerden nach dem NetzDG strikt von sämtlichen anderen Meldungen abgegrenzt haben. Mit derartigen Spitzfindigkeiten der Betreiber war zuvor nicht zu rechnen. Sie waren nicht im Sinne des Gesetzes und haben seine Wirksamkeit geschmälert. 

Den Referentenentwurf und seine Begründung haben wir inzwischen in unserem Netzwerk unter die Lupe genommen und bewertet – kritisch, aber auch wohlwollend. Wir hatten in der letzten Woche unser Statement gerade fertiggestellt, da drang zu uns durch, dass es außerdem noch den weiteren Gesetzentwurf zur Novellierung des NetzDG gibt. Damit werden wahrscheinlich einige der in der gemeinsamen Stellungnahme aufgeführten Kritikpunkte und Anregungen hinfällig. Vieles von dem, was wir in der gemeinsamen Stellungnahme fordern und was auch schon in dem von ichbinhier gemeinsam mit HateAid im November erstellten rechtspolitischen Positionspapier empfohlen wird, scheint nun doch zu kommen. Bis es soweit ist, erinnern wir aber gern an unsere Sicht der Dinge. Die Sicht der Betroffenen. Und derer, die Betroffenen helfen.

 

Sonja Boddin für ichbinhier e.V.

Januar 2020

 

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