Studie: Hass auf Knopfdruck

März 6, 2019/0/1

Rechtsextreme Trollfabriken und das Ökosystem koordinierter Hasskampagnen im Netz.

Eine Studie des Londoner Institut for Strategic Dialogue und der Initiative ichbinhier e.V. zeigt das Ausmaß rechtsextremer Hasskampagnen in Deutschland nach Einführung des NetzDG. Dabei nutzen Rechtsextreme gezielt unmoderierte Kommentarspalten reichweitenstarker Medien, um ihre oft verfassungsfeindlichen Narrative in die Mitte der Gesellschaft zu tragen.

Die Studie „Hass auf Knopfdruck“ des Londoner Instituts for Strategic Dialogue und von ichbinhier e.V. zeigt das gravierende Ausmaß rechtsextremer Hasskampagnen in den Sozialen Netzwerken, vorangetrieben durch eine kleine, aber sehr aktive Gruppe. Die Studie basiert auf Analysen von mehr als 1,6 Millionen rechtsextremen Beiträgen auf Facebook zwischen Februar 2017 und Februar 2018.

Seit Einführung des NetzDG ist die Anzahl offensichtlicher rassistischer, antimuslimischer und antisemitischer Posts in den Sozialen Medien zwar zurückgegangen, aber koordinierte Hass-Kampagnen aus dem rechtsextremen Spektrum wie #KiKAgate und #kandelistüberall waren dreimal häufiger anzutreffen. So beobachteten die Autor*innen der Studie einen Anstieg auf 300.000 Beiträge im Vergleich zu den üblichen 90.000 Beiträgen pro Monat. Die Studie zeigt ebenfalls auf, dass das erhöhte Aufkommen an Hassbeiträgen nicht für ein generelles Abdriften der Kommentarkultur ins rechte Spektrum steht, auch wenn die Shitstorms gegen Politiker*innen, insbesondere in den letzten Wochen, diesen Anschein erwecken. Dieser Eindruck entsteht u.a. durch das Agieren weniger, aber sehr aktiver Sympathisanten der rechtsextremen Identitären Bewegung, die bundesweit vom Verfassungsschutz beobachtet wird.

Diese kleine, aber sehr gut organisierte Troll-Armee weiß die Möglichkeiten der Neuen

Medien sehr schlau für sich zu nutzen. Ihr Ziel ist es, mit Hasskampagnen eine scheinbare Mehrheitsmeinung in den Kommentarspalten zu erzeugen bzw. Deutungshoheit über gesellschaftliche Diskurse zu übernehmen. Zu ihren taktischen Mitteln gehören das Erstellen zahlreicher Fake-Profile, die zeitgleich für Kampagnen und Shitstorms gegen einzelne Politiker*innnen und Institutionen eingesetzt werden, das koordinierte Kapern von Hashtags und das Fluten von Kommentarspalten reichweitenstarker Medien mit Hasskommentaren.

Bei Aktionen von #ichbinhier waren im Durchschnitt mindestens 62 Sympathisanten der rechtsextremen Identitären Bewegung zu finden. Philip Kreißel, Datenanalyst des ichbinhier e.V., ergänzt: „Alle Shitstorms, die wir seit Beginn des Jahres bis heute analysiert haben, weisen dieselben Muster und dieselbe Gruppe an Beteiligten auf.“

Auch Hashtags wie #120db werden von Bots gestartet, dann von diesen aktiven Nutzergruppen weitergetragen, von AfD-Profilen geteilt und von bestimmten Medien wie Russia Today und Sputnik, nicht zuletzt auch von gängigen Medien aufgegriffen.

Die Studie verdeutlicht den gefährliche Schlagschatten dieser Scheinriesen: Bestimmte Narrative werden tausendfach geteilt, gelikt und wiederholt und durch die Algorithmen der Sozialen Netzwerke hochgepusht. Es entsteht der Eindruck, bestimmte Themen oder Stimmungen wären relevant. So finden Hasskampagnen ihren Weg in die Berichterstattung reichweitenstarker Medien einschließlich ihrer Kommentarspalten und können politische Entscheidungsprozesse beeinflussen. „Mediennutzer und Seitenbetreiber sind hier vor allem gefragt“, fordert Hannes Ley, Gründer der Aktionsgruppe #ichbinhier und Erster Vorsitzender des Vereins ichbinhier e.V. „Es macht einen großen Unterschied, ob die Seitenbetreiber gängiger Medien durch Moderation präsent sind und auf Kommentare von Nutzern antworten.”

Julia Ebner, Analystin des ISD und Mit-Autorin, mahnt: „Es ist wichtig, dass weder Journalisten noch Politiker die öffentliche Wahrnehmung basierend auf Meinungen und Interaktionen in den Sozialen Netzwerken deuten. Unsere Analysen verdeutlichen, dass nur wenige, in vielen Fällen rechtsextreme, Individuen mittels der Sozialen Netzwerke den Eindruck einer scheinbaren Mehrheitsmeinung generieren, die so gar nicht von der Bevölkerungsmehrheit getragen wird.” Ebner führt aus: „Diese Wahrnehmungsverzerrung kann einen gravierenden Einfluss auf unsere demokratischen Prozesse haben. Basierend auf unseren Ergebnissen fordern wir daher eine überparteiliche Antwort, um Aktivisten, NGOs, Journalisten und andere Internetnutzer vor digitalen Angriffen zu schützen. Idealerweise sollte das noch vor den bevorstehenden Wahlen in Bayern passieren.“

Abschließend sei angemerkt, dass Betroffene von Shitstorms fast immer auch zur Zielscheibe von Drohungen und Einschüchterungsversuchen außerhalb der Sozialen Medien werden. Um dem entgegenzuwirken, nimmt die Bedeutung von digitaler Zivilcourage zu.

Jede*r Einzelne kann sich für einen respektvollen Umgang in den Kommentarspalten einsetzen und Betroffenen von Shitstorms beistehen – unabhängig von der eigenen politischen Meinung.

Die Autor*innen der Studie möchten Betroffene von Hasskampagnen darüber hinaus einladen, ihre Erfahrungen zu teilen, um weitere Analysen zu ermöglichen.

Institute for Strategic Dialogue (ISD)

Das Institute for Strategic Dialogue (ISD) ist ein unabhängiger „Think and Do Tank“, der mit Führungspers.nlichkeiten in Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft zusammenarbeitet, um l.nderübergreifende Antworten auf die geostrategischen, sozialen und sicherheitsrelevanten Herausforderungen unserer Zeit zu finden. Das Ziel des ISD ist es, Extremismus weltweit zu bekämpfen und interkommunale Gräben zu überbrücken.

Studie als PDF downloaden
PM als PDF downloaden
Navigation